Samstag, 28. März 2015

"Jenny Jürgens gegen Franz Josef Wagner" oder "Meinungsfreiheit ist ein ekles Ding"

Gestern erreichte mich per Email der Aufruf, doch bitteschön die Petition von Jenny Jürgens (der Tochter von Udo Jürgens, wie explizit und im Fettdruck erwähnt wird, weil solche Verwandschaftsgrade den Worten eines Menschen natürlich augenblicklich ein besonderes Gewicht verleihen, von der damit zementierten herausragenden Bedeutung der Person ganz zu schweigen...) zu unterschreiben, mit welcher sie eine Absetzung der Kolumne "Post von Wagner" in der Bild-Zeitung fordert.
Sie hat dafür natürlich auch einen wunderbar aktuellen Grund - sie sieht nämlich durch seinen Kommentar zum Absturz der Germanwings-Maschine am Montag eine "Grenze erreicht. Diese Grenze nennt sich Würde!"
Um wessen Würde es dabei exakt gehen soll, wird nicht weiter ausgeführt, das ist aber anscheinend auch nicht nötig, denn "Diese Grenze zieht sich durch jedes kluge und human empfindende Herz."
Aha.

Schnell wird deutlich, dass sich Frau Jürgens ganz grundsätzlich von eben jener Kolumne gestört fühlt ("Lange genug mussten wir die verbalen Ergüsse des Franz Josef Wagner über uns ergehen lassen. Egal ob Bild Zeitung Leser oder nicht. Es gab kein Entrinnen.") und man könnte nun eventuell argwöhnen, dass sie hier einen günstigen Moment sieht, um Unterstützer für diesen grundlegenden Unmut und die daraus resultierende Sendung um sich zu scharen, denn im Angesicht von Katastrophen engagiert sich der Mensch ja gerne, am einfachsten durch seinen Namen auf einer Liste, das nimmt nicht viel Zeit in Anspruch...
Aber das wäre zynisch.
Ich kann nur für mich festhalten, dass ich bis zu eben jenem Aufruf weder von der Kolumne noch von der Existenz des Herrn Wagner überhaupt wusste, es gibt also anscheinend doch ein Entrinnen vor seinen Aussagen, aber das nur am Rande.

Nichtsdestoweniger, ich war nach all den vollmundigen Anklagen ein wenig neugierig geworden auf jene Zeilen, von denen es da hieß, sie seien "pietätlos und dumm und haben mit seriösem Journalismus nichts mehr zu tun".
Ich erwartete Geschmacksloses, aber ich muss gestehen - ich wurde enttäuscht.
Denn in jenem kurzen Textlein, einer Kolumne eben, einer persönlichen (Meinungs-)Äußerung des Autors und keiner anspruchsvollen, dem Objektivismus verschriebenen, journalistischen Berichterstattung, erschloss sich mir unsensiblem Geschöpf jenes Grauen einfach nicht, dass Frau Jürgens und ihre mittlerweile über 30.000 Unterstützer gepackt hatte. Es war nur ein kleines Stück Text, eine kleine, persönliche Verarbeitung eines schrecklich großen Grauens in kurzen, schlichten und durchaus betroffen wirkenden Worten. Herr Wagner hatte (wie es der Titel seiner Kolumne ja vorgibt), einen Brief verfasst, in diesem Falle an die Absturz-Opfer und für mich wirkte er nicht pietätlos und dumm, sondern einfach erschüttert und ein wenig überfordert davon, dieses Thema des Tages in Worte zu fassen.

Nun muss ich gestehen, ich bin keine Bild-Leserin und ich bin kein Fan von Herrn Wagner, letzteren "kenne" ich wie gesagt erst seit gestern Abend, erstere nur von der Schlagzeilen, die einem auf dem Weg zur U-Bahn oder am Kiosk anspringen. Aber ich bin noch immer ein großer Fan der Meinungsfreiheit und als solcher regt mich diese Petition auf, denn sie ist einmal mehr ein schönes Beispiel für die immer weiter um sich greifende Attitüde, dass "Meinungsfreiheit" nur denjenigen zusteht, die der gleichen Meinung sind wie man selbst, alle anderen werden gnadenlos zum Abschuss freigegeben.
Der Kollege hat die falsche Gesinnung? Wird in Zukunft gnadenlos ignoriert, mit solchem Pack gibt man sich nicht ab. Aber selbstverständlich müssen andere Kollegen umgehend informiert werden, dass man ja niiie gedacht hätte, dass der Herr X. so einer sei...
Der Facebook-Freund hat ein Bildchen geteilt, dass einem missfällt? Sofort den Kontakt löschen, er ist offensichtlich ein schlechter Mensch. Umgehend darauf teilt man selbst Bilder, um sich von dergestalten Verhaltensweisen abzugrenzen und weist darauf hin, dass man mit jenem ehemaligen Freund nichts mehr zu tun haben will, die Allgemeinheit muss schließlich von seinem Makel erfahren.
Einem völlig unbekannte Menschen äußern sich in der eigenen Meinung widersprechender Weise? Auf zur Gegendemo und niederschreien, den Mob, niemand soll ihre Aussagen hören können, widersprüchliche oder gar kontroverse Ansichten gehören schließlich unter Verschluss...
Ach, man könnte noch ein Weilchen so weitermachen, aber ich denke, das Bild wird klar.

Gestern waren noch alle Charlie und fühlten sich so schrecklich solidarisch mit jenen Märtyrern der Meinungsfreiheit, heute wird danach geschrieen, einem anderen Journalisten den Job wegzunehmen, weil seine Äußerungen zu zynisch seien.
Die Ironie kann man wirklich mit dem Messer schneiden.

1 Kommentar:

T. hat gesagt…

Ich bin nicht Charlie und auch kein Freund der Bildzeitung, aber ich muss dir Recht geben. Bei dieser Petition läuft so viel falsch, dass man nur noch den Kopf schütteln kann.

LG, Sefa