Dienstag, 26. Oktober 2010

The occult oculist...

Liebe Leserschaft, nähert euch staunend! Was ich euch nun berichten werde, wird eure Wahrnehmung erschüttern, euer Weltbild auf immer verändern - nichts wird mehr sein, wie es vorher war! Denn (und das verrate ich nur euch, nur hier!) - es gibt sie wirklich! Die über die Maßen übersinnlich Begabten wandeln unter uns und sie setzen ihre wundersamen Kräfte nonchalant ein, wo wir niederes Volk nur staunend stehen und ihnen vor Bewunderung die Füße küssen möchten.
Aber beginnen wir die Geschichte von Anfang an...

Mutter Fuchsi klagt nun schon seit einigen Wochen über Sehstörungen - beim Lesen bemerke sie eine kreisrunde Unschärfe, die gleichsam über den Buchstaben zu liegen scheint - beim Blick auf eine krisselige Oberfläche (wie z.B, das weiße Rauschen des Fernsehers) lässt sich diese Unschärfe als mattgelber runder Fleck wahrnehmen. Auf beiden Augen.
Unser üblicher Augenarzt fand nichts Beunruhigendes, tippte auf eine Stauballergie und Überanstrengung der Augen und ließ die Sache auf sich beruhen.
Ein ohnehin fälliger Kopf-MRT ergab ebenfalls keinen Befund und der vor kurzem konsultierte Kardiologe (die Leserschaft merkt, unser Ärzte-Marathon läuft noch...) schwor Stein und Bein, dass der Blutdruck nichts mit dieser Sehstörung zu tun habe.
So weit, so gut.

Nun ist Mutter Fuchsi leider mit einer recht netten, aber etwas übereifrigen Hausärztin geschlagen gesegnet und so landeten wir letzten Donnerstag prompt beim nächsten Augenarzt. Wie hätten wir ahnen sollen, dass wir keine gewöhnliche Praxis betraten, sondern die geheiligten Hallen des - wie ich ihn nunmehr nenne - "occult oculist", des Augenarztes mit dem zweiten Gesicht!

Auf den ersten Blick wirkt er recht unscheinbar. Kleiner als ich, mit schütter werdendem Haar (das er unseligerweise quer über seine beginnende Glatze kämmt, in dem Irrglauben so vieler Männer, nunmehr würde niemand mehr den Haarausfall bemerken...) und einer zugegebenermaßen etwas psychedelisch anmutenden Brille, die bei sensiblen Gemütern sicherlich erste Schwindelanfälle hervorrufen könnte. Aber das soll uns nicht weiter stören. Gleicht er solche Irritationsmomente doch augenblicklich aus durch das Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Interesse, das er seinen Patienten zubilligt!
Satte 4 Minuten sind wir im Behandlungszimmer, in dieser Zeit schafft er eine Glaukom-Untersuchung und einen Sehtest, außerdem schreibt er ein Rezept über Augentropfen aus. Nur eine Netzhautuntersuchung und einen Test auf grauen Star schafft er nicht mehr, aber dafür sollen wir uns einen neuen Termin geben lassen.
An diesem Punkt sind wir beide etwas gereizt - sorgfältige Behandlung sieht doch eigentlich anders aus, oder??? Wir ahnen ja noch nicht, dass der gute Mann aufgrund seiner erstaunlichen mentalen Fähigkeiten solche Lapalien wie eine ausführliche Anamnese gar nicht braucht!

Heute waren wir dann wieder bei ihm.
Die Sprechstundenhilfe träufelt Mutter Fuchsi Atropin in die Augen und dann heißt es warten. Und warten. Und warten. Aber gut, wir warten ja gern.
Endlich dürfen wir dann doch ins Allerheiligste des magischen Augenarztes und während dieser Mutter Fuchsi mit dem Zartgefühl eines Preisboxers und der gewohnten Eile in den Behandlungsstuhl bugsiert, betrachte ich versonnen seinen Schreibtisch.
Ein Überweisungsschein liegt da und ein ausgefüllter OP-Plan.
Ich gucke woanders hin, schließlich gehen mich anderer Leute OP-Geschichten ja nichts an.

In den 45 Sekunden, die ich mit Gucken verbracht habe, ist der heilkundige Hexer mit seiner Untersuchung schon wieder fertig. Er hat Mutter Fuchsi kurz in die Augen geleuchtet, verkündet jetzt, die Netzhaut sei in Ordnung, er habe aber "ein bisschen Grauen Star" entdeckt und würde uns daher zu einem Kollegen überweisen. "Die Operation dauert 15 Minuten, ambulant, Lokalanästhesie, am nächsten Tag müssen Sie dann wieder hierher kommen."
Mutter Fuchsi hat nur Grauer Star gehört und starrt den sensiblen Arzt entsetzt an.
"Heißt das, ich werde blind???" , stottert sie entsetzt.
Der einfühlsamste aller Medizinier verkündet seelenruhig: "Ja, das heißt, Sie werden blind." und drückt mir den Überweisungsschein und den OP-Plan, der eben noch auf seinem Schreibtisch lag, in die Hand, während Mutter Fuchsi erbleichend in den Behandlungsstuhl sinkt.

Abgesehen davon, dass ich allmählich das dringende Bedürfnis verspüre, Doktor Eisenbart sein Ophtalmoskop in den Rachen zu stopfen, werde ich nun auch noch stutzig. Gibt er mir da etwa denselben Überweisungsschein und OP-Plan, den ich vorhin bemerkt habe??? Jenen, der fertig ausgefüllt auf seinem Schreibtisch lag, BEVOR er auch nur einen einzigen Blick in Mutter Fuchsis Augen geworfen hatte???

Ich bin beeindruckt! Entpuppt sich dieser Mann, den ich gerade noch für ein unsensibles und desinteressiertes Riesenars****ch gehalten habe, doch plötzlich als Hellseher! Da ärgert man sich über einen Menschen und ahnt gar nicht, dass er das Wochenende hindurch die Tarotkarten, seine Kristalkugel oder vielleicht auch die Eingeweide von Makrelen gelesen hat, um nun ohne weitere Verzögerung eine Diagnose präsentieren und auch gleich alle notwendigen Dokumente überreichen zu können. Ich überlege kurz, vor Bewunderung auf die Knie zu sinken, leider lässt sich der naturwissenschaftlich verbildete Verstand aber nicht ausschalten und so frage ich stattdessen unverschämterweise: "So, grauer Star also? Ist das schon so schlimm, dass man es sofort sehen kann."
"Nein, das ist im Anfangsstadium.", erklärt der hellsehende Heiler heiter. "Aber heutzutage operiert man das früher."
"Und daher kommen auch die Sehstörungen???", hake ich nach.
Ich ernte einen konsternierten Blick. "Nein, die kommen wahrscheinlich von der Netzhaut."
Wiederum habe ich einen unvernünftigen Einwand: "Aber Sie haben doch vor 2 Minuten gesagt, dass die Netzhaut in Ordnung ist?"
Der außergewöhnliche Augenarzt ist nun sichtlich genervt und verkündet mit einer logischen Schärfe, von der sich Occam ein Scheibchen abschneiden könnte: "Ja, schon. Aber das Alter. - Also, auf Wiedersehen."

Und damit komplimentiert er uns aus seinem Wartezimmer, instruiert ein weiteres Mal, dass wir gleich am Tag nach der OP wieder zu ihm kommen müssen und verschwindet in den Tiefen seiner Praxis.
Vermutlich muss er noch einen geweihten Ochsen schlachten, ehe der nächste Patient kommt...

5 Kommentare:

RUDHI Rüscher hat gesagt…

Da würde ich *Augentrost* vorziehen! Aber wann schreibst du endlich mal ein Buch, Fuchsi?! Solche Kurzfilme schreien nach Fortsetzung! Jedenfalls alles Gute und viel Glück für deine Mumm...

Mary Malloy hat gesagt…

Bitte WAAAS? Ich habe gerade in meinem Gesicht rumschneiden lassen, zwar nur an der Nase... Aber ähm, wir reden hier von Augen und Ängsten und gehts noch???

T. hat gesagt…

Drittmeinung einholen und diese Hallen teuflischer Hexerei in Zukunft meiden ;-)

Hexe hat gesagt…

Hammer! Da würde ich in Zukunft einen großen Bogen um die Praxis machen.

Sandy hat gesagt…

Ach Du Schei...e!
Da fällt mir nix besseres dazu ein.

Und konntest du Mutter Fuchsi wieder beruhigen?

LiebGruß
Sandy