Wer Goethes "Faust" näher kennt, weiß, warum ich bei diesem Thema, Helena zeichne.
Wer mich näher kennt, weiß, dass unter der Vielzahl der Bücher, Romane, Dramen, Gedichtge, Epen undundund, die ich liebe, Goethes "Faust" schon immer einen besonderen Platz eingenommen hat. Seit dem ersten Lesen, damals in der 12. Klasse, zog mich dieses Stück in seinen Bann, lockte, inspirierte, forderte und quälte, regte an und auf und war immer wieder auf's Neue ein Quell von Entdeckungen, Erkenntissen und (Selbst)Reflexionen.
Wen wundert es also, dass ich - wenn es irgend möglich ist - auch alle "Faust"-Inszenierungen besuche, die auf deutschen Bühnen stattfinden. Leider, alle schaffe ich nie, aber ich tue mein Möglichstes.
Am Sonntag war es nun wieder einmal so weit.
Das
Münchner Volkstheater gab die
aktuelle Faust-Inszenierung des Regie-Überfliegers
Simon Solberg.
Ich musste natürlich hin.
Zwar erwartete ich mir nicht viel, nachdem ich zuletzt im Volkstheater von "Macbeth" mehr als enttäuscht worden war, aber entgehen lassen konnte ich es mir trotzdem nicht.
Was soll ich sagen - der Abend war eine Offenbarung. Selten habe ich eine Inszenierung gesehen, die in diesem Maße zugleich respektlos und doch respektvoll mit dem Stoff umgeht, selten einen Regisseur, der derart virtuos mit dem Text spielt, ohne Berührungsängste, ohne falsche Scham kürzt, umstellt, anders wertet und verteilt und dadurch einen ganz neuen, faszinierenden Blickwinkel auf ein bekanntes Stück eröffnet.
Die Zeitlosigkeit des Faust-Stoffes ist vielfach diskutiert worden, doch hier endlich wird sie in voller Gnadenlosigkeit zum Ereignis. Da werden Verweise und Zitate in die Abgründe der Popkultur in nie geahnter Virtuosität mit dem Urtext verknüpft, Teile aus dem Faust II in den ersten Teil übergeführt, Personen neu interpretiert und ganze Szenen mit chirurgischer Präzision entfernt und doch steht am Ende ein komplettes, vollkommenes Werk auf der Bühne, ein neuer, alter Faust für das 21. Jahrhundert und ein Mephisto, der so böse wie selten und doch so tragisch wie nie wird.
Das Spiel mit beinahe burlesk anmutenden Regieeinfällen und mit leichter Hand gestalteter Idylle, das einen über drei Akte beinahe vergessen ließ, dass man in einer Tragödie sitzt, schlägt am Ende um in absolute Verzweiflung, selten war die Fallhöhe dieses Stücks so hoch, wie eine Ohrfeige trifft einen das plötzliche Umkippen der Handlung zu ihrem schmerzlichen Ende und beinahe mit angehaltenem Atem verfolgt man die letzten Minuten, in denen sich - wie unvorstellbar es auch vor Minuten noch schien - einmal mehr mit gnadenloser Unausweichlichkeit das Drama der faustischen Seele entfaltet.
Fazit: Eine mehr als bewegende, zutiefst faszinierende Inszenierung, die es aus dem Stehgreif geschafft hat, sich einen Platz unter meinen drei Lieblingsinszenierungen des Stoffes zu erkämpfen.
Wer Sinn für modernes Theater hat und die Gelegenheit findet, sollte sich einen Abend in Solbergs schöner neuer Faust-Welt definitiv gönnen.
6 Kommentare:
Schön, hast du eine Inszenierung erlebt, die dir auch gefallen hat. Ist nicht immer selbstverständlich so was ;-)
Hm, klingt ja wirklich gut!
Ich persönlich bin nun nicht sooooo ein "Faust"-Fan (hauptsächlich wegen des überladenen zweiten Teils) und vor allem erbitterter Feind modernen, verhunzenden Regietheaters, aber für sinnvolle Interpretationen durchaus aufgeschlossen.
geschichtenerzähler, du sagst es! Teilweise erlebt man im Theater schon herbe Enttäuschungen...
DMJ, der zweite Teil ist leicht gaga und strotzt geringfügig vor "Seht mich an, was ich alles weiß"-Attitüde, da geb ich dir völlig Recht. Auch beim modernen Regietheater können wir uns einigen - warum z.B,. mittlerweile JEDES Stück ein bis mehrere nackte Männer braucht, hat sich mir noch immer nicht erschlossen. ;)
Die Gretchenfrage ist ein faustdickes Highlight für mich...
Faust... ja, auch bei mir kam die Offenbarung in der Oberstufe. Wie habe ich dieses Stück geliebt... abwechselnd mit Faust gelitten und versucht, Mephisto zu greifen.
Ich konnte mich auf so mannigfaltige Weise mit den Charakteren identifizieren. Das ist und war phantastisch.
Eine Inszenierung davon habe ich jedoch noch nie gesehen... einfach, weil die Zeit komplett fehlt.
Aber... du beschreibst das wunderbar. Ich kann sowas nicht... Rezensionen, Kritiken... ich fühle dann zwar alles, kann es aber schlecht in Worte fassen.
Das gelingt dir echt... phantastisch. *staun*
Rudhi, ja, mit Religion kann man schon einiges durcheinanderwirbeln. ^^
Blossom, vielen Dank für dieses schöne Lob, das freut mich sehr. :)
Und schön zu hören, dass noch jemand "Faust" liebt.
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